Lage der Nation

WELT AM SONNTAG Nr. 30, Sonntag, 26. Juli 2015, Seite 50 – Zu Tisch, von Manfred Klimek

Ein Flecken Land namens Geisberg war vor hundert Jahren einer der prominentesten Weinberge der Welt. Der Gutsbesitzer Roman Niewodniczanski und der Winzer Markus Molitor wollen den Hang jetzt wiederbeleben

Ein Kameraflug über einen lang gestreckten Hang: Arbeiter sind zu sehen, Raupenfahrzeuge, Bagger, Äxte, Kettensägen. Ein Wald wird gefällt, Birken abgeholzt, Sträucher ausgerissen, Erde umgepflügt; Menschen dringen in ein Reservat der Natur vor und bemächtigen sich des Bodens. Es sind Drohnenbilder eines Überfalls. Und die mediengeschulten Instinkte sagen, dass hier etwas Falsches geschieht, etwas, gegen das man protestieren sollte. Nur wo? Bei wem? Wer ist der Ansprechpartner?

Der Mann, der die Rodung veranlasst hat, heißt Roman Niewodniczanski und wohnt in der Mitte von Wiltingen an der Saar. Dort gibt es eine Straße, die „In Ägypten“ heißt, ein kleines Hotel und keinen Bankautomaten. Güterzüge rattern durch den Ort, die Stahl aus Völklingen nach Norden fahren. Und wenn mal ein Personenzug hält, dann kommt ein sehr dicker Mann und macht eigenhändig das Gatter zum Bahnsteig auf – ein Vorgang, der völlig aus der Zeit fällt.

Doch Wiltingen an der Saar ist eine Hauptstadt. Eine Weinhauptstadt. Und Roman Niewodniczanski, zwei Meter groß, durchtrainiert, schlank und schnell, lebt nicht ohne Grund hier, er hat im Jahr 2000 das alte Weingut Van Volxem gekauft und saniert. Sein Vater, Besitzer von Bitburger Bier und Gerolsteiner Mineralwasser, fand dazu nur drei Worte: „Du wirst scheitern.“ „Einer seiner wenigen Irrtümer“, sagt der Sohn. Mit seinem ersten Önologen Gernot Kollmann, der heute an der Mosel arbeitet, hat Niewodniczanski dem Saar-Riesling zu neuer Aufmerksamkeit verholfen.

Mit seinem zweiten Önologen Dominik Völk will er der Region jenen Ruhm zurückbringen, den sie mal hatte. „Das Abholzen habe ich veranlasst, und den Film habe ich drehen lassen“, sagt Niewodniczanski und drückt auf die Play-Taste der Fernbedienung, „denn auf diesem Hang wird Kultur entstehen; Weinkultur, wie sie einst in Deutschland gang und gäbe war. Dieser Hang hat Weingeschichte geschrieben und wird wieder Weingeschichte schreiben.“

Große Worte. Aber sie entsprechen der Wahrheit, denn auf dem gerodeten Stück von bedrohlicher Steilheit soll in einem Seitental der Saar eine von Deutschlands berühmtesten Weinlagen wiedererstehen, die Lage Geisberg, die gleich hinter der bekannten Lage Ockfener Bockstein beginnt. Sie wurde vor vierzig Jahren erst gerodet, dann vergessen und sich selbst überlassen, war auf einmal wertlos, blieb bloß noch Heimat der Wildschweine, die in den angrenzenden, dichten Wald verschwunden sind. „Vor hundertzwanzig Jahren“, erklärt Niewodniczanski, „war es an der Saar so warm wie heute. Danach kamen viele kalte, schwere Jahre für den Weinbau, vor allem in den 70er-und 80er- Jahren. Doch heute profitieren wir vom Klimawandel. Und genau jetzt wird eine kühlere Seitentallage wie die Geisberg wieder das, was sie einmal war, nämlich absolute Weltklasse!“

Der große Südhang gehört Niewodniczanski nicht allein. Ein paar Parzellen sind im Besitz des Moselwinzers Markus Molitor, der gerade mit seinen Rieslingauslesen international für Furore sorgt – er hat vom deutschen Tester des von Robert Parker gegründeten, weltweit einflussreichen „Wine Advocate“ für drei seiner Weine jeweils die Höchstwertung von 100 Punkten erhalten.

Freilich gibt es da gleich kritische Stimmen (besonders aus Deutschland), die erhobenen Zeigefingers darauf hinweisen, dass Molitor relativ leicht mehrmals 100 Punkte einholen könne, weil er im Gegensatz zu anderen Spitzenwinzern der Welt eine Vielfalt an Auslesen keltern dürfe. Stimmt! Doch sollte man sich nicht lieber freuen, dass gerade ein deutscher Winzer mit seinen Kreationen an das hervorragende Image deutscher Rieslinge erinnert, die diese vor den Zornesausbrüchen Wilhelms und Adolfs hatten? Ist Molitor nicht jenes Missing Link, das Deutschland endlich auch in einer anderen Kategorie als Auto und Fußball zur Weltspitze führt? Noch dazu bei etwas so Sinnlichem wie Wein.

An Selbstgewissheit mangelte es Markus Molitor nie. Schon allein, weil er das Weingut der Familie als Neunzehnjähriger übernahm und den Betrieb von wenigen Rebstöcken auf heute fast 70 Hektar vergrößerte. Molitors Keller steht in Wehlen an der Mosel und die meisten Weine werden aus Trauben gepresst, die in der unmittelbaren Umgebung vom Stock geholt werden. Das führt stets zu kleinen Spitzen mit Roman Niewodniczanski, der nicht müde wird, immer wieder zu erwähnen, dass der Saarwein einst weit über den Moselweinen stand. Molitor hat gelernt, das Redundante geflissentlich zu überhören.

Warum wird man so groß? Warum kauft man so viel Land? „Der Weinbau an der Mosel war vor zwanzig Jahren und noch länger in einer großen Krise“, antwortet Molitor mit seiner gainsbourghaften Raucherstimme, die ein kleiner französischer Akzent kitzelt. „Da konnte ich ein paar richtig gute Parzellen erwerben, weil keiner mehr im Steilhang arbeiten wollte. Irgendwann interessierte ich mich dann auch für Weingärten an der Saar.“ Warum? „Weil es hier neben dem berühmten Scharzhofberg noch ein paar andere interessante Lagen gab, die längere Zeit keiner haben wollte. Dieses mangelnde Interesse war mein Vorteil.“

Inzwischen ist die Saar im Trend. Und gute Lagen teuer. Dafür sorgen Riesling, Schiefer und Günther Jauch, der vor ein paar Jahren das Weingut von Othegraven aus familiären Gründen übernommen hat und hier mit seiner Frau Dorothea Sihler und dem Önologen Günther Barth ganz hervorragende, moderne Rieslinge keltert. Nach naturnahen Methoden, wie fast alle guten Winzer der Gegend. An der Saar, so scheint es, hat man den Massen- und Mengenweinbau hinter sich gelassen und konzentriert sich wieder auf die Stärke der Lagen. Roman Niewodniczanski freut sich über seine Mitstreiter. „Mir ist sehr recht“, sagt er, „dass ich hier zusammen mit erstklassigen und engagierten Leuten die Gegend hochbringe. Und man muss sich nichts vormachen, Günther Jauch und sein Engagement haben uns allen geholfen. Sein Interesse ist ja nicht gespielt, der steht wirklich mit seiner Frau bei den Weinmessen am Stand und präsentiert seine Weine.“

Was die Lagen der Saar einst wert waren, kann Roman Niewodniczanski schnell und detailliert beweisen. Er hat sich lange akribisch durch Archive und Antiquariate gewühlt und jede Menge Katasterkarten gefunden, begleitet von Versteigerungslisten und internationalen Getränkekarten. „Schauen Sie mal“, ruft Niewodniczanski in das Besprechungszimmer, um eine Sekunde später mit einem Berg Unterlagen aufzutauchen, „hier können Sie alle Lagen sehen und ihren damaligen Wert erkennen. Geprüft 1903. Von drei verschiedenen preußischen Steuerprüfern. Und der Geisberg ist ganz vorne mit dabei.“ Er öffnet mehrere alte Getränkekarten und tippt mit dem Zeigefinger auf die Preise: „Immer war der Riesling von der Saar teurer als jener der Mosel. Und auch teurer als alle großen französischen Burgunder und Bordeaux. Der Saar-Riesling war der König der Weine.“

Das soll er wieder werden, meinen Niewodniczanski und Molitor – letzterer will freilich das Gebiet der Mosel, zu dem die Saar gehört, im Gesamten aufgewertet sehen. Was macht den Saarwein so speziell? Niewodniczanski fischt erneut Unterlagen aus dem Stoß, und legt Berichte und Protokolle der großen Weinversteigerungen der vorletzten Jahrhundertwende auf den Tisch. „Da ist immer von delikaten und bekömmlichen Weinen die Rede, von fruchtigen und alkoholarmen Weinen, von frischen Weinen mit lebendiger Säure, von belebenden und jugendlichen Weinen. Die Leute habe die Saar-Rieslinge geliebt.“

Und sie werden sie wieder lieben. Auch wenn die Weine, vor allem jener vom Geisberg, der 2019 wohl das erste Mal auf die Flasche gezogen wird, in Zukunft wohl teurer werden – was in Deutschland immer ein Riesenproblem ist. „Daran führt aber kein Weg vorbei“, sagt Roman Niewodniczanski, „denn die Winzer müssen mehr verdienen, um mehr Rücklagen bilden zu können. Erst dann ist sicher, dass die ganze Kultur der Qualität nicht der Massenweinerzeugung zum Opfer fällt.“ Doch da ist noch viel zu tun, bis deutscher Wein in Deutschland anerkannt ist und sich endgültig vom Image der ursprünglich sauren und dann aufgezuckerten Plörre aus dem Römer-Glas befreien darf. Ein Anfang wäre jedenfalls ein Wikipediaeintrag für Markus Molitor. Dem derzeit international bekanntesten deutschen Winzer.

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